Das Schreiben, was mit der Post im Briefkasten von der Netzagentur kam, war kurz: „Bitte teilen Sie und Ihren Zählerstand mit. Der Grund ist, dass sie den Stromanbieter wechseln.“ Das war mir neu. Was für ein feiner Humor! Was ich wusste war, dass die GASAG einen größeren Betrag von meinem Konto abgebucht hatte, es stand aber nicht drauf, wofür. Kein Text. Also zurück gebucht, derzeit herrscht ja großes Chaos bei den Anbietern. Ein Anruf bei der Hotline war umsonst, die Ansage berichtete von hohem Andrang, der derzeit leider nicht bewältigt werden kann. Also abwarten, das wird sich schon regeln.
Dann erreichten mich zwei E-Mails mit der Ankündigung von Nachrichten in meinem „Postfach“ bei der GASAG, hinter der sich allerdings keine neuen Nachrichten fanden.
Ich muss dazu erläutern, dass ich seit 30 Jahren in der IT-Industrie tätig bin und mit beileibe kein digitaler Verweigerer bin. Im Gegenteil, viele der Neuerungen begeistern mich und ich bin ein Vielnutzer.
Dann bekam ich das Schreiben der Netzagentur und so machte ich mich im digitalen Portal auf die Suche nach möglichen Nachrichten. Und siehe da, ich wurde fündig: im Bereich GAS gab es neue Nachrichten, einmal eine Mahnung und dann eine ominöse Nachricht mit den Titel „Neue Informationen“. Das war die Kündigung meines Anschlusses. Sportlich, 10 Tage nach der ersten Mahnung!
Dann habe ich mich noch einmal zwei Stunden hingesetzt, alle Fakten dokumentiert und per E-Mail und Einschreiben an Kundendienst und Vorstand versandt.
Diese Aufgaben erledigt versuchte ich mich zu erinnern, wie die Kundenkommunikation vor 20 Jahren ohne das Internet und die „Dienstleistungsportale“ ablief. Die Aufgabe war nun, zu ergründen, ob die Behauptung der Anbieter, die Digitalisierung habe enorme Vorteile für uns Kunden, kritisch zu hinterfragen.
Um am neuen Spiel (mit den vielen Vorteilen für mich) teilnehmen zu können, muss ich mir erst einmal ein oder mehrere digitale Endgeräte anschaffen. Ein modernes Handy schlägt mit 300 – 800 Euro zu Buche, dazu kommen die monatlichen Netzkosten. Laptops und Computer sind entsprechend teurer. Dann kann ich mich auf der Webseite des Anbieters einloggen, meine Daten preisgeben, mehrfach Werbeangebote ablehnen. Dann kann ich meine Zählerstände und meine Rechnungen einsehen. Im Moment habe ich die Kosten für die Kommunikation mit meinem Anbieter. Der schickt auch keine Briefe, offensichtlich auch nicht bei Kündigungen. Er ruft auch nicht an. Ihn kann man auch nicht anrufen, dafür gibt es ja die Webseite und die Hotline hatte ja auch schon kapituliert. Ich muss nun Zeit aufwenden, um mich über den Status meines Vertrags proaktiv zu erkundigen. Die Technik kostet mich Geld und die Recherche kostet zusätzlich Lebenszeit. Auf der Seite des Anbieters sinken die Kosten. Kein Porto, weniger Papier (retten Sie den Planeten!!), weniger Mitarbeiter im Service, „schlanke“ Kommunikation mit dem Kunden. Das wird dann als „Erledigen Sie ihre Geschäfte mit uns bequem von der Couch.“ verkauft. Pustekuchen. Die Kosten der und die Verantwortung in der Kommunikation werden auf mich abgewälzt. Wäre die Mahnung mit der Post gekommen und würde der Konzern ausreichend Mitarbeiter im Service beschäftigen, wäre das alles nicht passiert. Die GASAG wies ihrem Geschäftsbericht von 2020 über 60 Millionen Gewinn aus.
Joseph Weizenbaum (https://de.wikipedia.org/wiki/Joseph_Weizenbaum) hat in seinem Buch aus dem Jahr 1976 zwei Thesen (Hauptargumente) aufgestellt, die nach vielen Dekaden immer stärker an Aktualität gewinnen. Er schrieb:
„… dass erstens der Mensch keine Maschine ist und zweitens, dass es bestimmte Aufgaben gibt, zu deren Lösung keine Computer eingesetzt werden sollten, ungeachtet der Frage, ob sie zu deren Lösung eingesetzt werden können.“
Joseph Weizenbaum – Die Macht der Computer und die Ohnmacht der Vernunft, Suhrkamp Verlag Taschenbuch, 1978, S. 10. / Original „Computer Power and Human Reason. From Jugdement to Calculation“, 1976 by W.H. Freemann and
Company